Old Guard versus Old Guard

oder „Was ein paar Jahrzehnte und eine völlig andere Sexualität so ausmachen“

Neulich blätterte ich mal wieder durch zufällige Texte auf Fetlife und wieder einmal fiel mir auf, dass der Begriff „Old Guard“ sehr verschieden verwendet wird, was – zumindest bei mir – oftmals zu nervösen Zuckungen im Augenlid führt, insb. wenn dann im schlechtesten Fall die verschiedenen Formen fröhlich durchmischt werden. Deshalb hier meine 2 Cent zu den beiden „Old Guards“.

Vorneweg: Ich bin kein Experte. Ich war nicht dabei. Weder bei der originalen noch der anderen „Old Guard“. Das Lesen von ein paar Texten im Internet und ein paar Podcasts und Videos machen keinen zu einem Experten, maximal zu einem interessierten Laien (und wem der Begriff „Dunning-Kruger“ was sagt, der weiß, dass das quasi die schlimmste Stufe des Unwissens sein kann). Wer sich tiefer mit dem Thema beschäftigen will, dem rate ich daher, den Leuten zuzuhören, die dabei waren, z.B. Guy Baldwin oder Hardy Haberman, die auch heute noch sehr kurzweilige Talks geben. Wer die Chance hat, da einen zu sehen, greift zu. Und wer mich korrigieren will, bitte gerne, immer ran.

Die „originale“ Old Guard war die ursprüngliche Gay Leather Bewegung die um 1950 herum entstand, als (schwule) Veteranen des zweiten Weltkriegs in die USA zurückkehrten, ihre Stoff-Uniformen durch Leder ersetzten und sich mit der Motorradszene vermischten. Viele der Eigenheiten der damaligen Old Guard ergaben sich fast zwangsweise: „Schwul“ war schon sozial geächtet, „BDSM“ war reine Perversion und konnte zur Einweisung führen1. Dass sich damit alles also in eine stark exklusive Richtung entwickelte, dürfte kaum überraschen. Und natürlich gab es auch einige rein kulturelle Eigenheiten, z.B. der starke Fokus auf stark zur Schau gestellten „Männlichkeit“, im Sinne der Bilder von „Tom of Finland“: Harte Männer hatten „rough sex“ mit anderen harten Männern, ganz im Gegensatz zum Beispiel zur heutigen, sehr viel diverseren, queeren Szene. Dies geschah natürlich auch als (bewusster oder unbewusster) Gegenentwurf zu den Vorurteilen ihrer Gesellschaft, in welcher Schwule oftmals als verweichlichte „Sissies“, etc. gesehen wurden.

Zweifelsohne gab es sehr viel Positives, was sich aus dieser Zeit entwickelte, so der starke Zusammenhalt, der dann beispielsweise während der AIDS-Krise in starker gegenseitiger Hilfe mündete, wobei hier auch die lesbische Szene eine starke, positive Rolle spielte. Natürlich muss man auch sagen, dass zahlreiche Mythen und Legenden über diese Zeit kursieren. Während einige vermutlich völlige Fiktion sind – so zum Beispiel der „Circle of Elders“, der aus dem Schatten heraus angeblich die lokale Szene steuerte – werden in anderen Fällen gerne regionale und vermutlich eher gruppenspezifische Konzepte zu allgemeingültigen Normen umgedeutet, so zum Beispiel das Konzept, dass man sich die Lederkleidung „verdienen“ musste2 (was in Biker-Clubs häufig die Regel ist) oder dass es zwangsweise nötig war, sich vom bottom zum Top hochzuarbeiten3.

Die „andere“ Old Guard, von der man heute oftmals liest, ist ein Aspekt der deutlich neueren heterosexuellen BDSM-Szene, vermutlich in etwa 1980 bis vor Anfang der 2000er Jahre, teilweise hört man hier auch den Begriff „New Guard“, der aber auch wieder in anderen Kontexten Verwendung findet (z.B. als weniger formelle, spätere Form der Gay Leather Szene4). Zweifelsohne ist hier einiges der Gay Leather Kultur eingeflossen, teilweise direkter (in den USA), teilweise indirekter (hierzulande), aber viele Aspekte unterscheiden sich tiefgreifend und es gab es natürlich auch deutlich andere Einflüsse, z.B. die „Story of O“ (1954), um nur eine zu nennen. Der offensichtlichste Unterschied ist vermutlich das Leder, welches in der heterosexuellen Szene dieser Zeit deutlich weniger Bedeutung hatte und oftmals durch Anzüge ersetzt wurde – eine andere Uniform, aber konzeptionell natürlich vergleichbar (vermutlich aber natürlich auch eine Abgrenzung zur schwulen Szene). Auch in diese Szene entwickelten sich gewisse gemeinsame Ideen und gerade in Europa auch weiterhin eine gewisse Exklusivität (wenn sie auch in den USA durch verschiedene größere Vereinigungen vermutlich offener war) und genauso muss man natürlich auch hier zwischen regionalen und gruppenspezifischen sowie generell verbreiteten Ideen trennen. Leider sind gerade in Deutschland viele Mitglieder der Szene aus dieser Zeit ins private abgewandert und das Fehlen von größeren Organisationen führte leider dazu, dass es auch selten Vorträge und Präsentationen von solchen „alten Hasen“ gibt, was zweifelsohne schade ist.

Kurz gesagt gibt es mindestens zwei „Old Guards“ bzw. meinen verschiedene Leute verschiedene Gruppen, wenn sie von „Old Guard“ sprechen und damit man nicht nach einem halben Streitgespräch merkt, dass man völlig aneinander vorbei redet, schadet es sicher nicht, bei diesem Thema vorher klar zu stellen, wovon man wirklich spricht.

  • Kleanthes (http://www.kleanthes.berlin)

1 An Essay About „the Old Days“  by Jay Wiseman (https://www.evilmonk.org/a/wiseman11.cfm)

2 Beyond Vanilla XXV Keynote by Hardy Haberman (https://leatherati.com/beyond-vanilla-xxv-keynote-e496277e4ce2)

3 The Leatherman’s Protocol Handbook, Guest Editorial Review by Guy Baldwin (https://leatherati.com/the-leathermans-protocol-handbook-guest-editorial-review-by-guy-baldwin-d462183007ff)

4 Old Guard, New Guard by Gayle Rubin (https://www.evilmonk.org/a/grubin.cfm)

1 thought on “Old Guard versus Old Guard

Comments are closed.